2004. Der weitsichtige Thread „
Der Boom ist tot“ wird im Dezember losgetreten. Ein paar wenige „Das Ende ist nahe“-Beiträge, ein paar wenige „Das Ende kommt noch“-Beiträge. Der Boom war noch nicht tot, allerdings boomte er als Hörspieldümpel da schon ein wenig vor sich hin; genau betrachtet lag er schon in den letzten Zuckungen.
Nein, keine Angst, das wird kein „Früher-war-alles-besser“-Beitrag. Eher eine Art Bilanz.
Der Markt hatte sich zum damaligen Zeitpunkt bereits neu sortiert, die Karten waren neu gemischt. Die Hörbücher, die ursprünglich eher in derselben Ecke wie die Hörspiele zu finden waren, verstand man nun immer mehr als akustische Ergänzung zum klassischen Buch (das aus Papier zum Umblättern) und dem langsam an Fahrt gewinnenden E-Book. Die Generation, die als erste das Internet als Massenmedium für sich entdeckte und bei dieser Gelegenheit feststellte, daß es noch eine Menge anderer Leute gab, die den Hörspielmarkt mit ihren Hör-, Sammel- oder Einschlafgewohnheiten am Leben hielt (und teilweise bis heute hält), hatte sich gefunden und über Austausch und Diskussionen erst weitere antiquarische Hörspiele für sich entdeckt und anschließend auch den neuen Mitspielern auf dem Markt entsprechend neugierige Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Generation sowie die ersten deutlich jüngeren Archäologen der Hörspielgeschichte zerstreuten sich gegen Ende des Booms wieder, um sich hoffentlich anderen Schwerpunkten zu widmen. Die Forenlandschaft rund um den Hörspielsektor sowie ganz allgemein dünnte sich ebenso immer weiter aus wie eine Menge privater Internetseiten, ausschweifende Diskussionen wurden ebenso wie Rechtschreibregeln im Netz beinahe als lästig empfunden, was völlig neue Dienste anno 2004 zu schätzen wußten. Nur wenige Wochen oder Monate vor dem Thread waren angeblich „soziale Netzwerke“ wie Facebook oder Portale wie youtube online gegangen, iTunes hatte den Musikmarkt und die Konsummöglichkeiten revolutioniert, einige Monate nach dem Thread sollte Twitter als weitere Kommunikationsmöglichkeit folgen, Streamingportale wuchsen seitdem aus dem Boden. Das war neu, das empfanden entsprechend viele Leute als aufregend. Wenn man sieht, was daraus geworden ist, … egal.
Das Hörspiel ging auf jeden Fall wieder seinen Weg in die Versenkung. Damit war in gewisser Hinsicht zu rechnen. Es war schon während des Booms klar, daß einige der aus dem Boden geschossenen Labels nur wenig Zeit hatten, um sich am Markt zu etablieren. Tatsächlich haben sich neue Serien, sowohl im Erwachsenen/Jugendlichen- als auch im Kinderbereich plazieren können; gönnen wir ihnen ein langes Leben. Über übermäßigen Zuspruch wird sich allerdings kaum eines der Labels wirklich beschweren können. Skurril ist in diesem Zusammenhang, daß die Serien, die bereits die dünnen 1990er Jahre überstanden haben, auch noch während der dünnen 2010er Jahre am Start sind, obwohl sie schon im ersten Jammertal als „antiquiert“ galten.
Fast 10 Jahre also seit Abebben des Booms – und wider Erwarten hat das Hörspiel sich nur bedingt im Internet durchsetzen können. Nun gut, mittlerweile gibt es eine Menge Möglichkeiten, seine Hörspiele rein digital zu beziehen, sprich: per Download oder Streamingdienst. Allerdings scheint die Bindung an diese Bits und Bytes in einer Ecke der Festplatte deutlich geringer zu sein als diejenige an verkratztes Vinyl oder Bandsalat. Oder diese Bindung äußert sich nicht in Diskussionsbedarf oder Weiterempfehlungen. Nun gut, es gibt Hörspiele, die sich heute auf Theaterbühnen abspielen, was man sich mal auf der Zunge zergehen lassen muß, aber den mutigen Schritt ins rein digitale Zeitalter, vergleichbar dem, den Serien und Filme mittlerweile schon hinter sich gebracht haben, hat das Hörspiel anscheinend noch vor sich. Einige Internetradio-Versuche mit Hörspielen kamen und gingen, scheiterten meistens an rechtlichen Hürden. Eine Handvoll Podcasts hält sich dagegen mehr oder weniger wacker bzw. überzeugend. Aber ist das der Entwicklung letzter Schluß?
Die Hörspielflaute umfasste grob gesagt die Jahre ab 1987/88 bis etwa 1998, ehe die „Cassettenkinder“ im Internet zueinander fanden. Der Boom reichte etwa bis 2005, die letzten Ausläufer dümpelten noch 2006/7 durch die virtuellen Bauchläden im Netz. Wenn das Pendel bei seinem Rhythmus bleibt, ist in den nächsten paar Jahren wieder mit einem Aufschwung zu rechnen, vielleicht diesmal durch die „Cassettenkindeskinder“ oder Leute, die über ein innovatives Konzept das Hörspiel mit einem anderen Medium kombinieren und ihm auf diese Weise wieder zu größerer Popularität verhelfen können.
Da geht bestimmt noch was. Das letzte Wort ist bestimmt noch nicht gesprochen.
Halten wir die Daumen gedrückt und die Augen offen. Lieber so als umgekehrt.
Ergänzungen? Anmerkungen? Glückwünsche zum Jubiläum?
Gruß
Skywise