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Bücher: Der Mediator

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Matze

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Sonntag, 4. Oktober 2009, 15:35

Der Mediator

Eine Würdigung
des Herausgebers und Lyrikers Axel Kutsch




Die
Literaturtheorie wird zusehends von Literaturmarketing abgelöst, kompetente
Buchkritiken werden durch geschmäcklerische Literaturtipps ersetzt. Die seriöse
Buchauswahl verschwindet, stattdessen wird alles zur Geschmacksfrage
degradiert. Der Markt beeinflusst die Wahl, bestimmt die Vorlieben und
etabliert Werte. Selbst wenn Besprechungen nett gemeint sind, steht darin immer
etwas, das erkennen läßt, dass nicht begriffen wurde, was die Autoren bei der
Schreibarbeit tatsächlich beschäftigt hat. In den seltensten Fällen wird die
ursprüngliche Aufgabe des Kritikers noch befolgt, über Literatur zu schreiben,
bevor man sie beurteilt. Daher eine Würdigung des Herausgebers und Lyrikers
Axel Kutsch, die den Autor beim Wort nimmt.






Alles
stimmt beim Herausgeber und Lyriker Axel Kutsch, weil alles bei ihm Dichtung
ist, mit Dichtung zu tun hat. In seiner Lyrik hören die Sachverhalte auf zu
sein und fangen an zu bedeuten. Seine Lyrik, zuletzt veröffentlicht in »Stille
Nacht nur bis acht«, handelt nicht davon, was passiert, sondern wie Leser es
erleben. Im Herbst 2009 erschien die bereits vieldiskutierte Anthologie »Versnetze_zwei.
Deutschsprachige Lyrik der Gegenwart«.






Als Herausgeber von Lyrik-Anthologien hat Axel Kutsch
einen ganz anderen Begriff davon, was diese Gattung leisten muß. Die von ihm
herausgegebenen Bücher fügen sich ineinander mit eiszeitlicher, in geologischen
Epochen denkender Zwangsläufig­keit, als eine fortschreitende Bewegung. Er
denkt in Werkzusammenhängen, was ihn zu einer Ausnahmeerscheinung macht.
Zuletzt erschien »Versnetze zwei«,
eine Anthologie, die nicht nach dem Alter, sondern nach der Postleitzahl
sortiert ist. Zu entdecken ist eine Lyriklandschaft, die sich sowohl den
Metropolen, als auch dem Hinterland widmet. Über seine Arbeit als Herausgeber
von Lyrik-Anthologien sagt er ergänzend zum Projekt »Kollegengespräche«*:






„Der
Verlag schreibt gezielt Autorinnen und Autoren an. Von den
Einsendungen ist zwar nicht alles zu verwenden, aber
es bleiben immer genug annehmbare bis hervorragende neue Gedichte
auch weniger bekannter Verfasser übrig, mit denen man niveauvolle Anthologien füllen
kann. Ich lege Wert darauf, nicht nur etablierten



Lyrikern
ein Forum für Veröffentlichungen zu bieten, sondern auch solchen, die sich
bisher erst in ihren regionalen Szenen einen Namen gemacht haben.“






Als
Herausgeber ist Axel Kutsch ein Entdecker. Zwischen Verbindlichkeit und
Freiheit, zwischen Hierarchie und Innigkeit, Ordnung und Chaos findet er auch
die Na­deln im Heuhaufen. Er hat bereits frühzeitig erkannt, daß die aktuelle
Lyrik auf ei­nem viel höheren Niveau angesiedelt ist als die sogenannte Popliteratur.
Die Postmoderne endete jedoch mit der Massennutzung des Internets, kaum niemand
nimmt Notiz von ihrem Sterben, weil das Leben immer mehr von einer immer noch
schneller werdenden, ja, wahnwitzigen Schnelligkeit geprägt zu sein scheint.






Im
21. Jahrhundert ist Selbstentblößung unter jungen deutschen Autoren ganz
normal. Je lauter man brüllt, desto schlechter wird man verstanden, das heißt,
je greller eine Entblößung daherkommt, desto weniger schockiert sie. In den
Traditionslinien, die Axel Kutsch aufzeigt, geht es um die Rückkehr zur
Aufklärung. Peter Hacks etwa hat sich immer gegen Brechts Aufklärungskunst
gewandt. Seine Argu­ment lautete: „Aufgeklärt sind längst alle, nun schaut man,
was noch zu tun ist. Das stimmt aber leider nicht. Nun ist die Frage, zurück
zur Aufklärung oder nicht?“ Axel Kutsch stimmt dem zu, aber nicht zu derselben
Art von Aufklärungsliteratur. Einfach mit Aufklärung oder Klassik
weiterzumachen geht gerade dann nicht, wenn man besonders stark damit
sympathisiert. Das ist ein großer Gedanke Ezra Pounds: „Um etwas wieder zu tun,
muss ich es neu machen.“ Tradition heißt „immer wieder an­ders dasselbe“.






Als
Kutsch die Lyrik-Anthologie »Jahrhundertwende« vorbereitete, dachte er im
Vorfeld laut über den Titel nach:






„Einige in meiner Umge­bung
haben mir geraten, die Anthologie »Jahrtausendwende« zu nennen. Das wäre mir zu
bombastisch und zu vermessen. Mit einigem Glück wird die Menschheit die
kommenden Jahrzehnte noch überstehen, aber kaum das nächste Jahrtausend. Wir
haben es in­zwischen soweit gebracht, dass das Denken in großen Dimensionen an
Scharlatanerie grenzt. Im 20. Jahrhundert ist gnadenlos viel kaputtgemacht
worden. Und so wird es weitergehen. Keine Aussicht auf Besserung. Ich blieb
also bei »Jahr­hundertwende«. Diese Thematik umfasst man­cherlei Aspekte: Blick
zurück in ver­gangene Epochen, auf die Gegenwart und in die nähere Zu­kunft.
Das Buch ist ein inhaltlicher und stilistischer Fin-de-siècle-Seismograph
zeitgenössischer deutsch­sprachiger Lyrik.“





Axel Kutschs eigene Gedichte, die in Büchern wie in
»Einsturzgefahr« oder »Ikarus fährt Omnibus« nachzulesen sind, verknüpfen
Assoziationen zu einem Bewusstseinsvorgang, der zwischen den Zeiten vermittelt,
das Vergangene hervorholt, Träume reali­siert und so Gedanken ins Sprachbild
bringt. Es ist diese offene Form des Schrei­bens, die ihn immer am meisten
interessiert hat. Eine offene Form, die sich selbst bildet. Axel Kutsch entwirft
das Bild einer chaotischen Welt, aus der ei­nen keine Ge­schichtsphilosophie,
Meta-Erzählung oder Religion retten kann und fei­ert in seinen Gedichten gerade
deshalb die Freiheit des einzelnen. Man möchte seine An­thologien nicht missen,
ihm andererseits mehr Zeit für seine eigene Arbeit wün­schen:






„Während
der Wochen und Monate, in denen ich selbst mit der Zusammenstellung einer
Anthologie beschäftigt bin, fällt mir meistens kein akzeptabler Vers ein. Aber
niemand zwingt mich zu dieser editorischen Arbeit, die ja auch ihren
schöpferischen Stellenwert hat. Ich mache das höchst freiwillig und ausgesprochen
gerne, auch wenn damit eine gewisse Selbstausbeutung verbunden ist.“






Die
Arbeit dieses Lyrikers besteht darin, dem Wesen des Menschen auf die Spur zu
kommen, und zwar jenseits von Urteilen oder Therapievorschlägen, deshalb
studiert er den Menschen sehr genau. Es muss Schriftsteller geben, die
kritische Fragen stellen und hohe moralische Ansprüche vertreten – sonst bleibt
nur die Barbarei. Wenn es stimmt, dass die Lyriker als letzte Sinnstifter
gesucht werden, ist es ein gutes Zeugnis für die westliche Gesellschaft, dass
sie Lyriker als öffentliche Stimmen derzeit nicht benötigt. Hauptsache, die
Lyriker werden gelesen. Umgekehrt hat ein Lyriker, der die Gesellschaft erst
beeinflussen will, bevor er sie beschrieben hat, seinen Beruf verfehlt. Gute Lyriker
sind beim Schreiben kühl und unbestechlich. Und sie lassen sich beim Nachdenken
viel Zeit. Wünschen wir dem Herausgeber und Ly­riker Axel Kutsch noch viele
Mußestunden.






Matthias
Hagedorn





* »Kollegengespräche«
http://www.vordenker.de/kollegen/kutsch.htm






Axel Kutsch (Hrg.): Versnetze_zwei. Deutschsprachige Lyrik
der Gegenwart. Verlag Ralf Liebe, Weilerswist 2009.
In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.