Da ich teilstationär im Kinderheim (sagt man ja heute eigentlich nicht mehr) und somit in einem hochvulnerablen Bereich arbeite, gehören Corona und das Management drumrum seit zwei Jahren zu meinem Leben, wie die Luft zum Atmen. Abstandsregeln kann man in dem Betreuungskontext mit emotional hochbedürftigen Kindern im Grunde knicken. Einen vernachlässigten Sechsjährigen muss man auch mal in den Arm nehmen, ganz geschweige davon, dass unser Gesicht mit all seinen Facetten der Mimik in der Arbeit mit den hochbelasteten Kindern eines unserer wichtigsten "Werkzeuge" ist. Beim Tragen der FFP2-Masken für die Erwachsenen bin ich eisern, aber versucht das mal einem Kind klar zu machen, dass es mein Gesicht nicht sehen kann. Und versucht mal, einem Autisten mit einer sehr ausgeprägten Thematik zu vermitteln, dass er ne Maske tragen muss und in Stressituationen nicht an meinem Daumen lutschen darf (was er ja sowieso nicht machen darf, aber macht ihm auch DAS mal klar). Im Grunde bin ich also die größte potenzielle Dreckschleuder. Schule, Fahrdienste, Betreuungskontext, Geschwisterkinder in anderen Einrichtungen . . . da gibt es so viele unkontrollierbare Schnittstellen, dass jeder Tag im Grunde ein Spiel mit dem Feuer ist. Da spielen zu viele unbekannte Faktoren mit rein, um irgendwas planen zu können. Dass ich morgens in eine Sitzung gehe, über die neusten Bestimmungen in Kenntnis gesetzt werde und beim Verlassen des Raums schon wieder alles Makulatur ist, ist dabei nicht gerade hilfreich.
In meiner Gruppe bin ich mit einer strengen Auslegung der Vorgaben bis jetzt gut gefahren und konnte im Gegensatz zu anderen Einrichtung in meinem Umfeld den Rotz bislang raushalten. Ob mir das auch mit Omicron gelingt, wage ich zu bezweifeln. Omicron expoldiert hier gerade aus dem Nichts! Ich habe den niedrigen Zahlen vor und während der Weihnachtsferien eh nie getraut und sehe mich inzwischen bestätigt. Mit Beginn der Schule am 10.01. ging hier die Post ab. Nach einer ersten Spitze im November, ist das Virus ab dem 10.01.2022 auch wieder in der Grundschule meiner kleinen Kleinen wie eine Bombe eingeschlagen. Innerhalb von zwei Tagen ein prozentualer Anstieg von über 400 %.
Ich habe mir gestern mal die Mühe gemacht und habe das, was ich intern zum besseren Verständis "Infektionsbrücken" nenne, in einem Schaubild zusammengefasst, um die Schnittstellen herauszuarbeiten. Also die oben genannten Schulen, Fahrdienste, usw. . . . ich bin allein auf der ersten Ebene auf 148 potenzielle Kontakte gekommen, Erwachsene nicht mitgerechnet. Mit den steigenden Fallzahlen und den zahlreichen Einschlägen um mich herum ist dieses Schaubild also sowas wie eine Lebensversicherung. Denn da die Gesundheitsämter komplett offline sind, müssen wir Kontaktketten selbst ermitteln. Und das ist dann in etwa so, als würde mir jemand mehrere Puzzle vor die Füße knallen, wobei ich die ohne Vorlage nur mit der Bildseite nach unten zusammensetzen darf. Da ist es gut, wenigstens ein paar Eckpunkte, hier die Risikofaktoren, zu kennen.
Kann sein, dass ich das zu eng sehe, allerdings habe ich gesehen, was Corona anstellt. In meinem engeren privaten Umfeld: zwei Todesfälle an - nicht mit - sondern tatsächlich an Corona. Beide ungeimpft und einer davon voller Überzeugung ungeimpft . . . den anderen hat's einfach zu früh erwischt. Dazu mehrere schwere Verläufe und dann . . . tja . . . . auch der Einschlag bei mir zu Hause. Meine kleine Kleine hat das Virus im Oktober 2021 von ihrer Grundschule bei uns zu Hause eingeschleppt. Die Infektionsbrücken waren damals die Geschwisterkinder in den unterschiedlichen Klassen. Ergebnis: bei mir zu Hause zwei Impfdurchbrüche - bei meiner großen Kleinen und meiner Frau. Ich bin verschont geblieben. Meine kleine Kleine ist da vollkommen problemlos durchmarschiert. Um ehrlich zu sein, hat sie jeden Tag, an dem sie nicht in die Schule musste, gefeiert. Meine große Kleine hat zwei Wochen auf kleiner Flamme geköchelt und meine holde Gattin ist seither im Long-Covid. Nicht schön! Es geht ihr inzwischen zwar wieder etwas besser, aber vollständig genesen ist sie nicht. Und wir sind überzeugt, dass sie weg vom Fenster wäre, wenn sie nicht geimpft wäre. Ich weiß, es ist müßig darüber zu diskutieren, "da man das ja nicht mit Sicherheit sagen kann" . . . nun ja, ich habe diesbezüglich das Diskutieren aufgegeben.
Auch wenn man geimpft ist, ist man potenzieller Überträger. Die Schnelltests sind in ihrer Aussagekraft da sehr begrenzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Infektion unentdeckt bleibt, hängt dabei auch von der Viruslast ab. In meinem beruflichen und privaten Umfeld waren unabhängig voneinander 8 Personen fast zeitgleich PCR-positiv und bei allen hatten voher die Schnelltests nicht angeschlagen. Die hatten sich, einfach weil sie dem Braten nicht getraut haben, auf eigene Veranlassung PCR-testen lassen. Bingo!
Covid-19 ist kein Unfall auf der A9, von dem man aus dem Radio erfährt, während man auf der A5 rumnuckelt. Ein Unfall, der einen nicht berührt, weil er so weit weg ist. Nein, Corona ist eine Unfall, der einem direkt in die Breitseite fährt. In dem man als Opfer mittendrin steckt und das Ganze vielleicht nicht überlebt . . . oder ein Unfall, der einem zumindest wertvolle Lebenszeit raubt, weil man im dazugehörigen Stau festsitz und nicht vor, aber auch nicht zurück kann. Corona ist kein Mythos.
Die Corona-Diskussion und wie man mit der ganzen Geschichte umgeht, ist eine Grundsatzdiskussion. Lockdown? Lockerungen? Ich habe mal gelesen, dass man davon ausgeht, dass eine Pandemie im Schnitt 5 Jahre dauert . . . . irgendwie befinden wir uns alle im Blindflug. Corona ist wie ein reudiger Straßenköter, der uns unvermittelt in den Hintern gebissen und uns aus unseren Gewohnheiten gerissen hat.
Ich hatte im Sommer 2021 ein Gespräch mit einer wundervollen 84-jährigen Dame. Irgendwann habe ich gesagt, dass ich das nicht verstehe, was die Leute umtreibt: "Wir können zwar nicht raus und das tun, was wir eigentlich gerne tun: Menschen treffen, feiern, in Kneipen zusammensitzen, im Restaurant bekochen lassen, Sport, Konzerte besuchen, in Theater gehen, in Urlaub fahren . . . im Grunde alles, was Spaß und unser Lebensgefühl ausmacht. Aber immerhin haben wir doch ausreichend zu essen, fließend Wasser . . . und es fallen keine Bomben." . . . danach gab es erstmal eine lange Pause und irgendwann meinte sie: "Weißt du Jörg, ich bin mit 6 Jahren vor meinem brennenden Elternhaus gestanden. Das hat sich eingebrannt. Ganz tief hier drin! Ich weiß, was Hunger ist! Nein, ich verstehe auch nicht, was die Leute umtreibt, die sich die ganze Zeit wegen dieser Corona-Maßnahmen beschweren."
Sorry Joe, wenn das vielleicht nicht die Antwort auf deine eigentliche Frage ist . . . irgendwie hat sich hier gerade Aufgestautes seinen Weg nach draußen gesucht. Und ich hätte bestimmt noch ein paar Seiten füllen können . . .