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Uwe

hört Hörspiele seit ca. 1973

  • »Uwe« ist der Autor dieses Themas

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Montag, 30. Mai 2005, 18:34

Dirty Harry

Habe mir gerade meine Aufzeichnung des Films von gestern Abend angesehen. Lange Zeit hatte ich diesen vielleicht besten Clint Eastwood-Krimi nicht mehr gesehen und vieles davon vergessen. Jetzt bin ich wieder überrascht, wie sehr der Film heute noch fesselt und beeindruckt.
Regisseur Don Siegel brachte eine schonungslose, für die damalige Zeit (1971) ungewohnt blutige Härte auf die Leinwand. Der Film bekam damals den Vorwurf, faschistoid zu sein, weil er – so manche Kritiker - die brutalen Methoden des Cops Harry Calahan rechtfertige und Gerichtsurteile, die die Rechte von Verdächtigen stärkten, verunglimpfe.

Gewiss, der Film hat die Kraft, uns Zuschauer zu manipulieren, denn während der gesamten Zeit wird unsere ohnmächtige Wut auf den Verbrecher Scorpio (beeindruckend gespielt von Andrew Robinson, passend eklig gesprochen von Wolfgang Draeger) immer mehr gesteigert, so dass wir tiefe Genugtuung empfinden, wenn Dirty Harry ihn am Schluss erschießt. Denn Scorpio ist kein üblicher Serienkiller und Erpresser. Er ist absolut bösartig, unzivilisierbar, ein eigennütziger Terrorist und Psychopath, ein Sadist, dem es Freude macht, Menschen zu foltern und aus dem Hinterhalt zu erschießen, auch Kinder.
Wir als Zuschauer wollen nicht einsehen, dass man diesem Scorpio die Rechte eines Verdächtigen zubilligt. Dies offenbart sich besonders in der Szene, als Calahan ihn zum erstenmal gefasst hat und ihn zwingen will, zu verraten, wo er seine Geisel, ein 14jähriges Mädchen, versteckt hat, weil dieses sonst zu ersticken droht. Wenn Scorpio hier wie ein kleiner Junge flennt, auf Calahans Frage nicht eingeht, sondern schreit, er habe das Recht auf einen Anwalt, da geht unserer innerer Schweinehund mit uns durch und wir möchten diesen ekelhaften Kerl am liebsten tot sehen. Vor allem, weil wir wissen, dass er dem Mädchen vorher einen Zahn mit einer Zange herausgerupft hat, um ihn als „Beweis“ der Stadtregierung zuzuschicken. Unsere Empörung und Wut ist kaum noch zu steigern, wenn wir sehen, dass das Mädchen trotzdem nur noch tot geborgen werden kann, offenbar von Scorpio vergewaltigt wurde und Scorpio dennoch freigelassen werden muss, weil die gefundenen Beweise wegen Dirty Harrys rechtswidriger Ermittlung nicht verwertbar sind. Es sind dabei eben jene Präzidenzurteile, die Scorpio helfen, weil der Staatsanwalt eine Anklage für aussichtslos hält.

Dabei ist Scorpio auf den ersten Blick ein harmlos aussehender, Hippie-ähnlicher Endzwanziger mit langen Haaren und einem verkehrt gemalten Peace-Symbol auf dem Gürtel. Gleichzeitig aber trägt er schwarze Kampfstiefel mit weißen Schnürsenkeln. Rein optisch ist er also eine Mischung aus einem friedliebenden Hippie und einem Rechtsradikalen. Was ihn zu seinen abartigen Handlungen treibt, erfahren wir nicht. Das Geld, das er von der Stadt erpressen will, taugt kaum als Erklärung, denn dafür sind seine Aktionen zu übel. Er geht sogar so weit, dass er Geld dafür bezahlt, sich von einem Schläger blutig prügeln zu lassen (eine der sadistischsten Szenen des Films), um dann zu behaupten, Calahan hätte das getan. Scorpios Opfer sind immer Wehrlose, Friedfertige und Minderheiten, weil sie eine leichte Beute für ihn sind. Obwohl Scorpio im Laufe des Films immer mehr körperliche Schäden erleidet (nach Calahans Messerstich und Schuss in sein Bein humpelt er nur noch, nach der bezahlten Prügel ist sein Gesicht blutig und verpflastert), hört er doch mit seinen heimtückisch-brutalen Aktionen nicht auf. Er ist wie eine aufgezogene Uhr, die man nicht anhalten kann. Sein gemeiner Raubüberfall auf den alten Betreiber eines Spirituosenladens zeigt uns das deutlich, und natürlich umso mehr sein letzter Coup – die Entführung eines Schulbusses mit 7 Kindern, die er schlägt, als sie keine Kinderlieder mehr mit ihm singen wollen. Scorpio hat nichts Menschliches mehr an sich. Sein irres Lachen, als er bei der letzten Konfrontation mit Calahan einem kleinen Jungen die Pistole an die Schläfe setzt, steigert diese Gewissheit noch einmal.

Eben weil Scorpio ein so abgrundtief böses Subjekt ist, symphatisieren wir (wenn auch widerwillig) mit dem zynischen Cop „Dirty“ Harry Calahan trotz seiner reaktionären Ansichten. Obwohl Harry mal eben in der Mittagspause mit seiner 44er Magnum im Alleingang ein paar Bankräuber niederschießt (eine Sequenz, die zwar berühmt ist wegen Harrys Ansprache an einen der Bankräuber, wegen ihrer parodistischen Züge aber eher untypisch ist für den Film). Und obwohl er voller Vorurteile und unangenehmer Eigenheiten ist. Denn wir sehen ein, dass man scheinbar solche Polizisten braucht, um derartig schlimme Kriminelle auszuradieren, die der Staat mit seinen offensichtlich zu liberalen Methoden nicht schafft, hinter Gitter zu bringen.

Am Schluss hat der Film unsere Ansichten über „brutale Methoden“ der Polizei ins Wanken gebracht. Denn der Film hat uns den worst case vorgeführt – nämlich dass ein Krimineller so gemein und verschlagen ist, zwar den Staat zu terrorisieren, aber gleichzeitig die ihm von diesem Staat eingeräumten Rechte auszunutzen. Was soll der Staat in solchen Fällen tun, fragt uns der Film. Wir wissen es nicht. Wir hoffen, dass es immer in solchen Fällen einen Dirty Harry geben wird, der uns diese Entscheidung abnimmt.

Soweit meine Gedanken zu diesem zwiespältigen Polizeifilm-Klassiker.


Grüße!

Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von »Uwe« (30. Mai 2005, 18:40)