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Matze

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Sonntag, 18. Januar 2009, 16:26

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Eine Würdigung des Lyrikers, Herausgebers und Verlegers Theo Breuer

Eine beliebte Süßigkeit, die man früher für ein paar Groschen am Kiosk erwerben konnte, war das sogenannte Eßpapier. Theo Breuer, so scheint es, hat nie mit dem Naschen aufgehört. Charmant an seinem ‚Lesehunger` ist, daß er die Leser daran teilhaben läßt. Sein waches Interesse an neuesten Strömungen in der Prosa und der Lyrik finden ihren reichhaltigen Ausdruck in seinen Sammelbänden. Theo Breuer macht sich jede Anregungen umgehend zunutze und leitet sogar eine tiefgreifende stilistische Neuorientierung ein. Über deren Tragweite und sein Selbstverständnis als Autor, der einen Weg jenseits von Avantgarde und Postmoderne zu finden sucht, legt er in seinen Büchern in ebenso tiefsinnigen wie luziden Selbstbefragungen dem Leser Rechenschaft ab. Seine Monographien »Lyrik in den 90er Jahren«, »Aus dem Hinterland. Lyrik nach 2000« und »Kiesel & Kastanie« präsentieren dem Leser die pralle Pracht der deutschsprachigen Literatur. Der Lyriker, Herausgeber und Verleger Theo Breuer drückt dieser seinen sehr persönlichen Stempel auf, er ist ein Sammler und ein Enzyklopädist, setzt sich der Flut an Bildern und Texten aus, die uns täglich umspült und sucht aus Verweisen eine Struktur zu bringen. Breuer ist ein Lyrikbesessener im besten Sinne des Wortes. Er ist nicht nur begeisterter Liebhaber lyrischen Schaffens, sondern vor allem ein kenntnisreicher Vermittler und einfühlsamer Leser mit der Finesse, Bücher in seinen Monographien auch entsprechend vorzustellen zu können. Theo Breuer agiert quasi in Notwehr, weil das deutschsprachige Feuilleton nunmehr interessengesteuert einen Einblick in den Literaturbetrieb gibt, leistet er „aus dem Hinterland“ eine ernorm wichtige Aufklärungsarbeit. Er überzeugt seine Leser mit einer Präsenz und mit einer Glaubwürdigkeit, die immer erneut frappiert. Sein Schreiben ist frei von Manierismus. Theo Breuer präsentiert die Vielfalt der lyrischen Stimmen im deutschsprachigen Raum, dazu vom großen Feuilleton weniger beachtete Autoren, die über eine eigene lyrische Stimme verfügen. Ähnliches gilt für kleinere Verlage und Handpressen. Es kommt Theo Breuer weniger auf das Wertungsgefüge des Literaturbetriebs an, als auf eigene Maßstäbe. In der sogenannten Provinz - Sistig liegt im Nationalpark Eifel - formuliert sich die Gabe des Beobachters der enorme literarische Reserven anlegt. In diesem „Hinterland“ lebt Theo Breuer als seßhafter Nomade und Mythenzerstörer. Dieser Autor ist Lyriker, ein begnadeter Reisechronist und Briefeschreiber, auch seine mails lesen sich oft wie Briefe. Mit Theo Breuer über Lyrikbände, das Erarbeiten einer Figur zu korrespondieren, aber auch über andere Schriftsteller, das ist zugleich die Erfahrung, mit einem Autor im Briefwechsel zu stehen, die sein Metier liebt. Einem Rezensenten zu begegnen, die weiß: Schreiben bedeutet, einer fremden Figur Gestalt geben – und bedeutet daher auch, daß die eigene Person nicht im Zentrum steht. Die Spannungen seiner Existenz und des Literaturbetriebs kann er zuweilen nur aushalten, indem er sie schreibend neutralisiert. Ein Blatt nimmt er dabei selten vor den Mund. 1993 gründete Theo Breuer die Edition YE mit der Kunstschachtel YE N° One. 1994 erschien das erste Faltblatt. 2002 folgte die Lyrikreihe. Kontakt, Korrespondenz, Kollaboration und Kommunikation sind Idealvorstellungen, welche diese vielfältigen Publikationen begleiten. Theo Breuer ist die Instanz mit der größten Sensitivität und dem größten Einfallsreichtum. Er deckt die verändernden Realitäten im Literaturbetrieb im deutschsprachigen Raum auf und hat Teil an den Versuchen, eine lebendige Kritik wiederzubeleben und eine anspruchsvolle Literatur abseits des Mainstreams zu realisieren.

Über den Herausgeber und den unermüdlichen Chronisten vergißt man leicht den Lyriker, daher eine Betrachtung auf aktuellem Anlaß. »Wortlos - und andere Gedichte« lautet der aktuelle Band von Theo Breuer, in dem sich neben neuen Gedichten auch Bekanntes in einem interessanten neuen Gewand findet – und was eher selten ist, im Anhang auch mit ausführlichen Anmerkungen versehen ist, die eine Einsicht in die Textwerkstatt des Autors bieten. Ähnlich wie in seinem Gedichtband »Land Stadt Flucht« läßt Theo Breuer literarische Heimatkunde auf Exotismus treffen und zeitgenössische Wirklichkeit auf Vergangenheit–Gespenster. In seinem Werk offenbaren sich Reibungsflächen der Moderne, seine Gedichte deuten auf ein linguistisches System: Logik, Behauptung, Spekulation und Instruktion sind zu lesen. Was im diesem "Hinterland" entsteht, ist ein Spiel, das scheinbar mühelos der Lyrik den Hintergrund verleiht. Beiläufigkeit, diese Qualität seines Schreiben überzeugt sein Publikum. Zu den Konstanten in seinem frühen Werk gehört ein beinahe naiv ausgedrücktes Erstaunen über die stets als erhaben empfundene Natur und die geheimnisvollen Waldlandschaften der Hocheifel. Sein neuer Band ist ein beeindruckendes Exempel für die vielfältigen Erkenntniswege der Literatur. Das dialektische Rauschen des Eifelwaldes, in dem aus Verwirrung die reine Luft der Klarheit wird. Dieser „Waldläufer“ ist glücklicherweise nicht der letzte Mohikaner der Lyrik, er ist in Verwandtschaft zu sehen mit dem lyrischem Schelm Axel Kutsch, seine lyrischen Arbeiten sind den sprachmächtigen Gedichten des Luxemburgers Jean Krier verwandt, und erinnern an die durchdachte Lyrik des ungarischstämmigen A.J. Weigoni. Und daß eines der ersten Gedichte in »Wortlos - und andere Gedichte« „brinkman, blick“ lautet, zeigt eine enge Verwandtschaft zur rheinischen Avantgarde. Souverän knüpft dieser Lyriker an die literarischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts, stellvertretend sei für den neuen Band die „verinnerung an oskar p.“ genannt. Was im Lehrbuch steht, ist nur ein Ausschnitt aus der Literaturgeschichte. Lyrische Figuren haben ihr eigenes Leben, auch ihre eigene Vorgeschichte. Sie schwingt mit in den Zeilen, grundiert die Handlungen. Theo Breuer komplettiert seine Vorstellung von der lyrischen Moderne. Er entwirft, basierend auf der Literaturgeschichte, eine Art von Lyrik, die über diese literarischen Vorlagen hinausreicht. Die große Gabe von Theo Breuer ist es, das, was man liest, wie soeben geschehen aussehen zu lassen. Immer wieder gibt es diese Momente in seiner Lyrik, Szenen, die sich im Gedächtnis festsetzen, die nicht verlierbar sind – eine Art Triumph der Literatur. Um Max Bill zu paraphrasieren, seine Gedichte sind „Gegenstände für den geistigen Gebrauch“. Theo Breuer ist geradeheraus, höflich und bescheiden, macht nicht viele Worte und hat einen feinen Sinn für Humor. Es scheint, als habe er einen Handfeger genommen und ein paar jargonverdächtige Wörter herausgekehrt. Hinfort mit der kitschigen Sehnsucht nach Dichternähe, und noch einmal von vorn anfangen. »Wortlos - und andere Gedichte« ist ein geglücktes Zusammenspiel des Lyrikers Theo Breuer, des Verlegers Peter Ettl und der feinen Linoldrucke von Karl-Friedrich Hacker, das den Leser zuweilen Sprachlos macht.

„Wortlos - und andere Gedichte“ von Theo Breuer, mit Linoldrucken von Karl-Friedrich Hacker
Silver Horse Edition - ISBN 978-3-937037-27-1
In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.