Sex, Lügen und schwangere Teenies
Von Jochen Kubitschek
Kondome schützen nicht vor Aids, Berührungen lösen Schwangerschaften aus, Schweiß und Tränen übertragen HIV: Der christlichen Rechten ist kein Argument zu peinlich, um Teenagern den Appetit auf Sex zu verderben. Nur die Teenager spielen nicht mit.
"Kondome versagen in 31 Prozent der Fälle, wenn es darum geht, eine HIV-Infektion zu verhindern." Dieser Satz steht nicht etwa in einem Desinformationsblättchen konservativer Eiferer, sondern in einer Broschüre für den Sexualkunde-Unterricht, herausgegeben von den Centers for Disease Control and Prevention im US-Gesundheitsministerium - derselben US-Behörde, die in wissenschaftlichen Studien herausgefunden hatte, dass Latexkondome bei der Verhütung einer HIV-Infektion 98-prozentige Sicherheit bieten könnten.
Ein anderer, ebenfalls für die Aufklärung amerikanischer Teenager vorgesehener Text erklärt den Jugendlichen, dass "die populäre Behauptung, Kondome verhinderten die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten, nicht durch wissenschaftliche Daten gestützt wird".
Sexualaufklärung durch Scham und Furcht
Politisch und weltanschaulich motivierte, frei erfundene Behauptungen sind fester Bestandteil einer konzertierten Kampagne der extremen christlichen Rechten in den USA. Ihr erklärtes Ziel: amerikanischen Teenagern den Appetit auf vorehelichen Sex austreiben, und zwar nachhaltig. An vielen Schulen ist es Lehrern untersagt, trotz der Aids-Gefahr das Wort "Kondom" auszusprechen. US-Präsident George W. Bush hat schon als Gouverneur von Texas betont, dass Aufklärung über Präservative zu frühem Sex und Promiskuität verführe.
Die Kampagne, die ausschließlich auf der Forderung nach sexueller Enthaltsamkeit basiert - Motto: "Just wait" - wird von der Regierung großzügig finanziell gefördert. 135 Millionen Dollar haben Bush und seine Getreuen allein im Jahr 2002/2003 bereitgestellt, 33 Millionen mehr als im Jahr davor. Für 2005 ist ein Betrag 170 Millionen bereits fest eingeplant.
Ob die Zahl der Teenager-Schwangerschaften und die Häufigkeit der Geschlechtskrankheiten tatsächlich wie geplant vermindert werden, ist fraglich. Die Effizienz der stramm ideologisch ausgerichteten Informations-Programme, an denen in den vergangenen Jahren mehrere Millionen junge Amerikaner teilgenommen haben, wurde von der Regierung Bush nie untersucht.
Horrormärchen können Sexualtrieb nicht neutralisieren
Der Mangel an jeglicher Kontrolle motivierte den demokratischen Abgeordneten Henry Waxman, eine Untersuchung der Inhalte der am häufigsten verwendeten Programme durchführen zu lassen. Die Analyse, die kürzlich vorgestellt wurde, brachte es schnell an den Tag: Elf der 13 untersuchten Programme enthielten Behauptungen, die zwar den Moralvorstellungen der christlichen Hardliner, nicht aber dem Stand der Wissenschaft entsprachen. So wird Mädchen etwa weis gemacht, dass schwanger wird, wer einem Jungen zwischen die Beine greife - oder dass HIV durch Schweiß und Tränen übertragen werden könne.
Der Waxman-Report kam außerdem zu dem Schluss, dass die Enthaltsamkeits-Kampagnen bisher keinerlei Erfolge zeitigten - ganz im Gegensatz zu konkurrierenden Programmen, die zum Schutz der Jugendlichen über Verhütungsmethoden aufklären.
Verhütung mit Abstinenz
Die Horrormärchen aus dem Reich der Erotik ließen weder die Zahl der Schwangerschaften unter Teenagern, noch die Häufigkeit von Geschlechtskrankheiten sinken. Nicht einmal die jugendliche Lust auf vorehelichen Sex mochte abflauen. Bei Teenager-Schwangerschaften liegt ausgerechnet Texas, die Wahlheimat von Präsident Bush und Hochburg der Konservativen, in der Spitzengruppe der USA.
Bush befiehlt, doch niemand folgt
Statt auf religiöse Eiferer zu hören, treiben es junge Amerikaner lieber bunt, wie eine Studie der Columbia University ergab. 88 Prozent der Teenager, die voreheliche Keuschheit gelobt hatten, landeten demnach vor der Ehe mit dem anderen Geschlecht im Bett.
Das ist umso erstaunlicher, als dass die Kämpfer gegen sexuelle Libertinage alles andere als zimperlich argumentieren. Junge Mädchen erfahren etwa aus der Broschüre "Me, My World, My Future", dass eine legale Abtreibung unter Frauen das Selbstmordrisiko deutlich erhöhe. Wer dennoch weiterlebe, habe eine um zehn Prozent geringere Chance, im späteren Leben noch Kinder zu bekommen.
Aktuelle Lehrbücher der Geburtshilfe kommen zu dem Schluss, dass eine Abtreibung die Fruchtbarkeit einer Frau nicht vermindert. Und eine Expertengruppe der American Psychiatric Association hat festgestellt, dass das Suizidrisiko nach einer Abtreibung keineswegs erhöht ist.
"Ich habe keine Probleme damit, sexuelle Enthaltsamkeit als todsichere Methode zu präsentieren, um eine ungewollte Schwangerschaft oder eine sexuell übertragbare Krankheit zu verhindern", sagte Waxman der "Washington Post". "Aber irgendetwas ist ernsthaft nicht in Ordnung, wenn Steuergelder dafür verwendet werden, um unsere Kinder im Zusammenhang mit gesundheitlichen Fakten in die Irre zu führen."
quelle: spiegel
Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von »balrog« (13. Januar 2005, 10:13)