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Belletristik: Liebe-ralisiert

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Matze

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Sonntag, 7. Mai 2006, 11:33

Liebe-ralisiert

Jean–Luc Godard beschrieb das Eindringen von Soldaten in ein anderen Land nicht nur als kriegerischen „Akt“, fast könnte man meinen, er wurde aus den »Madrigali guerrieri ed amorosi“ zitieren. Es scheint zwischen Männern und Frauen des 21. Jahrhunderts so zuzugehen, wie im Kampf zwischen Tancredi und der Sarazenin Clorinda. Ihre inhaltliche Ratlosigkeit angesichts der faktischen Probleme verstecken die popmodernen Menschen also hinter der bewährten Geste der Überlegenheit. Die Ratlosigkeit des Ernsthaften liegt woanders, aber sie hat mit der Liebesfähigkeit zu tun. Liebe als Dokumentation, Krieg und als etwas aus der Form geratener Shop voller rätselhafter Artefakte. Der täglich anwachsende Chor von Beziehungen scheint ein rein sprachliches Phänomen zu sein. Das Ganze wirkt wie ein Vogelschwarm, in dem zunächst Einzelne zu krächzen beginnen, andere darauf antworten, nach und nach immer mehr einstimmen, schließlich alle sich äußern, nur – der Schwarm fliegt nicht los. Die wahre Liebe wurde zur Ware Liebe. Das Ziel der popmodernen Menschen ist nicht Freiheit, sondern Bindung, doch darum ist ihr individuelles Streben nach anarchischer Freiheit keineswegs erloschen. Sie wollen beides haben, Freiheit im Swingerclub und zugleich Geborgenheit im Eigenheim, und insbesondere sind es die Massen, die ohne Zaudern das Widersprechendste auf einmal verlangen. Obszönität ist eine verdammt schwierige Pose. Dieser Generation geht um den pünktlichen Eisprung und nicht mehr um Leidenschaft. Die Suche nach dem richtigen Partner wird mindestens so ernsthaft und professionell betrieben wie einen Job. Sie interessiert es zu einem Ornament mit der Masse zu verschmelzen, so ergeben einzelne Piktogramme ein Superzeichen. Hinter dieser scheinbaren Affirmation von Konsum, Dienstleistung und dem Warencharakter der Liebe steht das Bedürfnis, alle Verbreitungsmöglichkeiten einer Konsum– und Mediengesellschaft zu nutzen. Liebe ist für die popmodernen Menschen das natürlichste Schmerzmittel der Welt. Sie bedienen die gängigen psychoanalytischen Interpretationsmuster, die ihre Körperlandschaften, ihre silikonierten Brüste und ihre phallische Pharmazie hervorrufen, so offensiv wie ironisch, jeden Moment bereit, das Gegenteil zu behaupten. Cherchez la femme! Frauen sind es müde geworden, das Ideal des Mannes zu sein, der zur Idealisierung nicht mehr die rechte Kraft hat, und haben es übernommen, sich ihr eigenes Wunschbild auszudenken... Sie wollen überhaupt kein Ideal mehr sein, sondern Ideale machen, zu ihrer Bildung beitragen, wie es die Männer tun. Zu beobachten ist die bis zum Krampf energische große Gebärde, dass sie sich festbinden wollen an der Notwendigkeit, aber an der höchsten, an der, die über allen Satzungen und gleichsam der geometrische Ort aller denkbaren Satzungen ist. Das emanzipierte und anspruchsvoll gewordene Ich sucht nach Bindungen, die ihm gewachsen sind, die seiner gesteigerten Distanzierungsfähigkeit standhalten. Partneragenturen helfen bei der Selbstfindung, sie liefern der Auseinandersetzung konkrete Inhalte und sorgen so dafür, dass es nicht zu einer Selbstverwirklichung ohne Selbst kommt. Die elementaren Fragen bleiben sich gleich: Womit das Leben füllen? Woran sein Herz hängen?

Der komplette Essay erscheint in: Matrix #4, Pop Verlag / Stuttgarterstr.98 / D- 71638 Ludwigsburg / pop-verlag@gmx.de
In der Bedeutung des Lehnworts aus dem Französischen, wo der "amateur d' art" den kenntnisreichen, enthusiastischen Liebhaber der Künste meint, bin ich ein Dilettant.